Kultur wirkt.
Ausstellungskatalog Städtische (Keller)galerie Düsseldorf:
Axel Klepsch. Und erschrick nicht vor der Liebe.-
24 S. + 4 S. Einleger, 30 x 21 cm.-
Ausstellung vom 10. Oktober bis zum 9. November 1986
Mit einem eingelegten Text von Hans Knopper:
Vorweg
Fernsehen kann jeder. Man muss es nicht lernen. Mit dem Einschalten des Gerätes erfährt man die magische Wirkung dieses Mediums. Ein leuchtender Apparat offenbart das Neueste vom Tage, zeigt in schnellem Wechsel Bilder von Gott und der Welt. In Formen einer über Jahre hinweg kontinuierlich entwickelten Ästhetik werden standardisierte Bilder zusammengefügt. Sie müssen schnell entzifferbar sein, denn der Bildkonsument kann den Bildfluss nicht unterbrechen, nicht nachfragen. Er ist passiv und macht es sich vor dem Fernsehmöbel bequem.
Die angesichts von Einfachheit und Beliebigkeit der Bildkost aufkommende Skepsis ihrem Wahrheitsgehalt gegenüber entkräftet das Medium u.a.. durch seine Art der Erscheinung: Lichtquelle und Informationsquelle sind identisch. Das, was gezeigt wird, strahlt aus sich heraus, ist erleuchtet von innen her. Der Zuschauer sieht nicht, woher das Licht kommt. Verwiesen sei an dieser Stelle auf den Goldgrund in der mittelalterlichen Malerei. Auch dieser leuchtet immateriell aus sich selbst heraus, scheinbar unabhängig vom Diesseits. Diesem Phänomen liegt im Mittelalter ein metaphysisches Weltbild zugrunde: diesseitige Erscheinungen finden Sinn und Gestalt in einem überirdischen Heilsplan. Ob das Sendelicht des Bildschirms ein Beleg für einen aufkommenden modernen Irrationalismus ist, will ich nicht entscheiden.
Videokunst für alle
Zum Glück gibt es die Kunst, in diesem Fall die Kunstvideos. TV als Massenkommunikationsmittel ist notwendigerweise standardisiert und in seinen Ausdrucksmöglichkeiten entsprechend eingeschränkt. Seit es tragbare Videokameras und ‑rekorder gibt, setzen sich auch Künstler mit diesem Medium auseinander. Erst sie begannen, die bildnerisch künstlerischen Möglichkeiten der Kathodenstrahlröhre vertiefend zu erforschen. Gemessen an der Verbreitung von Videorekordern, müsste die Videokunst heute höchst populär sein. Aber da sie wie alle Kunst Anforderungen an die Geduld und visuelle Kompetenz des Betrachters stellt, findet sie bisher ein eher elitäres Publikum.
Wie
Anders als früher setzt sich die Videokunst heute kaum noch mit der übermächtigen Wirkung des Fernsehens auseinander. So macht sich der Düsseldorfer Axel Klepsch die Technik untertan und verfügt wie selbstverständlich über ihre Möglichkeiten: er nutzt die Elektronik zur unmittelbaren Gestaltung von bewegten Bildern. Die Arbeit mit der Kamera hat bei ihm nur noch vorbereitenden Charakter. Bei herkömmlichen Filmen liefert die Kamera die Bilder. Die Art ihres Einsatzes entscheidet maßgeblich über die Qualität des Werkes. Hingegen findet bei Axel Klepsch die künstlerische Bildbearbeitung, der eigentliche Akt der Videogestaltung, am Mischpult statt. Hier kann er relativ frei über die Elektronen verfügen. Die Videokamera liefert hierzu lediglich das Material, das nun verändert wird. Indem Axel Klepsch auf dem Monitor direkt das Ergebnis seiner elektronischen Manipulation sehen kann, vermag er solange verändernd einzugreifen, bis der von ihm gesuchte Ausdruck Bild geworden ist. Voraussetzung zu dieser Art des konzeptionellen Vorgehens ist, dass er die technischen Instrumentarien wie beim Autofahren im Schlaf beherrscht. Erst dadurch sind die Videos von Axel Klepsch Arbeiten aus dem Schauen heraus.
Wo? Da!
In der Ausstellung werden drei ausgewählte Videobänder gezeigt. Das älteste Band „Wo? Da!" von 1984 hat eigenartige Hauptdarsteller: Schuhpaare und Hände. Die Schuhe fallen entweder auf den Boden oder werden zum Gehen benutzt. Die Hände weisen abwechselnd mittels Zeigegestus in die Ferne oder mittels Faustschlag auf Ort und Stelle. Statuarisches und Dynamisches, vertikale und horizontale Bewegungen sind hintereinander geschnitten. In der zweiten, elektronisch stärker bearbeiteten Hälfte des Bandes erringt das horizontale Ausschreiten das Übergewicht. Was Axel Klepsch mit dieser horizontalen Bewegung eigentlich meint, macht die Schlusseinstellung deutlich. Die Rasterung wird hier so grob, dass sich das Bild zu einem Netz von Rechtecken auflöst. Das Band ist als verschlüsselter Kommentar zur Vernetzung der Welt durch elektronische Medien zu verstehen.
Ein Schiff wird kommen
Das zweite Band „Ein Schiff wird kommen" gibt sich sehr viel witziger und verspielter. Das Band versetzt den Zuschauer in die Zeit zurück, in der die Seefahrt noch mit Segelschiffen betrieben wurde. Schnell hintereinander geschnitten werden stereotype Stationen aus dem Matrosenleben gezeigt. Das reicht vom „Alle Mann an Deck", dem Abschiednehmen im Hafen, über Gefechte und Nebelwände auf See, bis hin zum Leuchtfeuer, das eine Ankunft oder Wiederkehr andeutet und dem Seemannsliebchen seine Rolle anweist. Alle diese Szenen sind nur knapp und, um die Illusion von Bewegung zu erzeugen, elektronisch animiert und verfremdet gegeben. Um die Seefahrtsphantasien des Betrachters in Gang zu setzen, reichen schon kleine Impulse aus: Rettungsringe, Seemannsmützen, tränende Augen und Figuren im Modelleisenbahnformat. Tautologisch untermalt das Lied vom „Hamburger Veermaster" diese Bilder, mit denen Axel Klepsch genüsslich ironisierend und gleichzeitig auch wohlwollend auf die Klischees der Seefahrerromantik anspielt.
Doch du bis gut und edel
Die praktizierte Vorgehensweise stellt an den Betrachter besondere Ansprüche. Er muss sich bei der Videolektüre auch auf seine eigene Intuition verlassen. Im jüngsten Band „Doch du bis Gut und Edel" werden in rasanter Folge Ausschnitte von Filmen, Fotos und Zeichnungen, auf denen Schiffe erkennbar werden, mit Aufnahmen lebender Personen und elektronischen Gestaltungen vermischt. Zwar hat jedes Bild für sich genommen einen benennbaren Inhalt, aber in der Art ihrer Verknüpfung ergibt sich keine direkt erkennbare Geschichte. Dazu ähneln sich die Bilder zu selten, werden einzelne Gegenstände oder Personen in ihrer räumlichen und zeitlichen Entwicklung fast gar nicht verfolgt. Trotzdem wird der Betrachter nach mehrmaligem Sehen den Eindruck haben, dass eine Kaperung oder Versenkung zweier Schiffe durch ein geheimnisvolles U‑Boot angedeutet wird. Elemente, die schon im Band „Ein Schiff wird kommen" vorhanden waren, tauchen hier verstärkt auf. Axel Klepsch verwendet in den Videos häufig eigene Bilder und Zeichnungen, um zu seinen Aussagen zu kommen. Diese Zeichnungen entstehen in der Abgeschiedenheit des Ateliers. Sie wollen Niederschriften von zeitlich weit zurückliegenden Eindrücken sein. Sie entstehen in der Rückerinnerung an Erlebnisse an der Nordsee. Da die Zeichnung immer nur eine Annäherung an verlorene Gefühle sein kann, entstehen ganze Reihen von Zeichnungen, in denen sich langsam bestimmte Formen von Schiffen herauskristallisieren. Gleichzeitig können wiederum die entstandenen Zeichnungen als Transportmittel in die Phantasiewelt benutzt werden. So verstanden regen die Zeichnungen in den Videos den Betrachter dazu an, die gezeigten Ereignisse als sinnbildhaft zu begreifen. Oder anders ausgedrückt: zwischen die alltägliche Wirklichkeit der Seefahrt bzw. eines Ereignisses auf dem Meer und die Realität des Betrachters schieben sich künstliche Abbildungen. Sie wirken wie eine Folie, durch die nur schwach die Konturen der dahinterliegenden Wirklichkeit durchschimmern. Das regt die Phantasie des Betrachters an, der aufgefordert ist, sie selbst zu ordnen. Schiffe fahren ins Ungewisse. Ereignisse um sie sind immer auch Gleichnisse vom menschlichen Leben.
Gekehrte Welt
Die Ausstellung zeigt ebenfalls eine Videoinstallation. Die Umstände, unter denen man das Band sieht, sind nicht mehr beliebig, sondern es ist an einen Ort gebunden. Der Betrachter erfährt einen konkreten Zusammenhang. Die Installation besteht aus einem Monitor, der auf einem hohen durch vier Vierkanthölzer gebildeten Pfeiler steht. Der Schirm zeigt elektronisch ein griechisches Kreuz. Der den Pfeiler hinauf nach oben gelenkte Blick wird durch die Kreuzarme auf dem Bildschirm aufgehalten und zum Verweilen animiert. Als christliches Symbol des menschlichen Triumphes über den Tod verleiht das Kreuz der Installation etwas Erhabenes. Das wird durch die Aufstellungshöhe des Apparates unterstützt: der Betrachter muss zur Röhre aufsehen. Im Mittelalter vermutete man den Aufenthalt Gottes im Himmel. Befindet er sich hier in der Elektronik? Ein anderer Aspekt ist, dass das Kreuz genau dem Querschnitt des Pfeilers entspricht. Das Bild lenkt demnach den Blick des Betrachters wieder nach unten zurück. Übrig bleibt dann das Kreuz als klare geometrische Form, die den gesamten Ausstellungsraum überragt und somit auch Bezug aufnimmt zum benachbarten Tischobjekt. Hier sitzt ein Hund dreist auf der Tischplatte. Dort, wo der Hund eigentlich sitzen müsste, nämlich unter dem Tisch, liegt jetzt die weiße Tischdecke. Diese Lageveränderung befreit die Gegenstände von ihrer eigentlichen Bedeutung. So können sie sich in die Thematik der Bänder und Zeichnungen einpassen. Zur Tischdecke könnte man ein umgekipptes Segel assoziieren, die im Raum verteilten Felltiere erinnern an Ratten, die erst dann sichtbar werden, wenn sie beginnen, das sinkende Schiff zu verlassen. Eine solche Katastrophe verdreht die Welt. Das Oberste kommt nach unten und umgekehrt. Anschließend glättet sich die Wasseroberfläche und Ruhe kehrt ein. Bis zum nächsten Mal.
Hans Knopper 1986
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