Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Barbara Schimmel, 
Drei Räume im 
Städtischen Klinikum Solingen

Projekt des Städtischen Klinikums Solingen
Barbara Schimmel, Drei Räume im Städtischen Klinikum Solingen
Katalog 2000.-
Mit Texten von Hans Knopper und Robert Franz.
Idee und Entwürfe: Barbara Schimmel
Fotoauffassung: C. Maas, Solingen
Altartuch: Ruth Herz für Barbara Schimmel
Ausführender Architekt: Burkhardt Albien
Dekorationsarbeiten: Erich Jacoby
Malerarbeiten: Dieter Schotten und Oskar Werner
Schreinerarbeiten: Franz Skerka
Metallarbeiten: Jugendberufshilfe und Sozialarbeit e.V., Solingen
Verwaltung: Martin Kemnitz und Uwe Pahl
20 S., 18 x 24 cm,
Auflage: 300 Ex.
 

Text von Hans Knopper:

Nähte

Wer als Besucher oder Patient ein Krankenhaus betritt, hofft, der Gesundheit zu begegnen. Aber Krankenhäuser gehören auch zu den Orten in unserer Gesellschaft, an denen die Grenze zwischen Leben und Tod gegenwärtig ist. Wer selbst mit dieser Grenzsituation konfrontiert ist, greift auf das Gefühl der Sicherheit und des Haltes, der aus dem medizinischen Alltag des Krankenhauses zu erwachsen scheint, dankbar zurück. Wird die Grenze zwischen Tod und Leben überschritten, dann tritt ein Stillstand ein, für den Krankenhäuser meist bemerkenswerterweise keinen Ort haben.

Für diesen Moment des Todes gibt es wohl aus Ratlosigkeit keine angemessene Umgebung. Der verlassene Leichnam fällt aus dem bis kurz zuvor funktionierenden Beziehungsgeflecht zwischen Raum und Person heraus. Technisch spezialisierte Räume beziehen ihre Würde, ihren Wert aus ihrer Zweckbestimmung. Ist dieses Ziel außer Reichweite geraten, trägt das Raumgefüge nicht mehr. Gesteht man der Architektur neben ihrer Funktionalität auch eine Symbolkraft zu, dann ist ein Krankenhaus, so wie es üblicherweise errichtet wird, z.B. für die Visualisierung von Geburt und Tod denkbar schlecht gerüstet. Erst für die folgenden Momente befindet sich im Krankenhäusern eine Kapelle, in denen religiöse Vertiefung ermöglicht wird.

Das Solinger Klinikum versucht seit einiger Zeit, den tradierten Ausschluss von sinnstiftenden, radikal über die reine Zweckmäßigkeit hinausgehenden Angeboten, die zudem nicht allein religösen Zuspruch bieten, aufzugeben. Gelegenheit hierzu bot sich u.a. im Foyer des Hauses, als ein Leerstand im ehemaligen Blumenladen auftrat. Mehrere Künstler wurden eingeladen, diesen Raum für den Zeitraum einer Ausstellung zu gestalten und somit künstlerisch den diesseitigen Bereich an der Grenze zwischen Leben und Tod zu reflektieren. Aus diesen Erfahrungen resultierte der Mut des Krankenhauses, die durch Baumaßnahmen notwendig gewordene Einrichtung eines Raumes der Stille als Ersatz für eine Kapelle in die Hände der Malerin und Bildhauerin Barbara Schimmel zu legen. Die intensive Auseinandersetzung mit einem eher unscheinbaren Raum im Stil der 70er Jahre des 20. Jh., der sich die Künstlerin und mit ihr die Seelsorger und das Krankenhauspersonal unterzogen, führte zu einer Erweiterung des Gestaltungsauftrags an die Künstlerin. Zwei weitere Räume innerhalb des Krankenhauses, in denen die engsten Angehörigen von ihren Toten Abschied nehmen können, sollten von Barbara Schimmel erstmals gestaltet werden. Von den insgesamt drei Räumen ist nur der Raum der Stille öffentlich zugänglich. Dieser Katalog dokumentiert neben dem Raum der Stille die Räume, die dem Abschied gewidmet sind.

Wer sich zu ungewöhnlicher Zeit z.B. ein Bein bricht, bei einem Arbeits- oder Verkehrsunfall Verletzungen zuzieht, wird häufig unmittelbar ins Krankenhaus eingeliefert und dort zunächst von der Notaufnahme versorgt. Hier steht ein Ärzte- und Schwesternteam in einem Operationssaal bereit, um notfalls sofort operieren zu können. Bei sehr schweren Unfällen  können die die Notmaßnahmen der Ärzte manchmal das Sterben nicht verhindern. Die zwischenzeitlich benachrichtigten Verwandten finden bei ihrer Ankunft am Krankenhaus dann einen verstorbenen Angehörigen vor, von dem sie nur noch Abschied nehmen können.

Die Jähe des Todeseintritts ist im Abschiedsraum der Notaufnahme zum auslösenden Moment der Gestaltung geworden. Ausgehend von der vorhandenen Raumausstattung, aus dem grauen PVC-Boden, entwickeln sich auf den Wänden Frabhorizonte, die von Grau über Graugrün, über dunkles Geld zu einem hellen Zitronengelb mit grünöichen Schimmer zur Decke hin reichen. In Augenhöhe befindet sich eine Stoffinstallation, die aus zahlreichen, eng aneinander hängenden unterschiedlich gro0en weißen und unbeschrifteten Tüchern besteht. Befestigt sind die Tücher hinter einer schmalen dunklen Leiste aus Eisen. Die Tücher erinnern an Schleifen, wie sie an Trauerkränzen Verwendung finden. Die Reihe der mal schmaler mal breiteren Tücher ist ebenso wie die sie tragende Leiste an einer Stelle unterbrochen. Wenn der Raum benutzt wird, können die Tücher imaginierte Notizflkächen für erfüllte und unerfüllte Hoffnungen bilden. Die Unterbrechung definiert die durch sie gebildeten Teile nicht eindeutig als zum Leben oder als zum Tod gehörig. Die Möglichkeit, beide Teile wechselnd zu definieren, ist die Verbildlichung des Versuchs, aus dem Leben eine Vorstellung über den Tod zu gewinnen, ein Bild dafür, dass sich beide gegenseitig bedingen. Der bewusst gedämpfte, senkrecht nach oben verlaufende Lichtgang vom Grau zum flirrenden Gelbgrün ist Ausdruck der Vorstellung, dass - nicht nur in der Vorstellung der christlichen Religionen - nach dem Leben ein überhöhter Seinszustand erreicht sein wird.

Ob die vom plötzlichen Tod eines geliebten Menschen überraschten Angehörigen den hier von der Künstlerin gemachten inhaltlichen Aussagen und Brücken folgen wollen, ob sie sie überhaupt wahrnehmen können, da sie viel zu sehr mit der Bewältigung der eigenen Situation beschäftigt sind, ist möglicherweise fraglich. Sicher ist allerdings, dass die Angehörigen und das Krankenhauspersonal die Gestaltung des Raumes besonders, nicht als beliebig sondern als sensibel und vor allem würdevoll erleben. Die symbolische Kraft entfaltet sich sprachfrei.

Barbara Schimmel hat in ihrer künstlerischen Praxis intensive Erfahrungen in der Auseinandersetzung und im Umgang mit Stoffen und Textilien gesammelt. Stoffe begleiten uns von der Geburt bis in den Tod. Sie hüllen uns ein, wärmen und schützen, stellen uns aber auch facettenreich dar, ermöglichen die Kommunikation innerhalb von Gruppen, verkörpern uns, provozieren, machen die vorsprachliche Auseinandersetzung und Einschätzung eines bisher unbekannten Menschen möglich oder - im Gegenteil - legen sich quer zu gängigen Kleidungs- und Klassifizierungsmustern. Kostbar gemachte Stoffe vertreten symbolisch das Selbstwertgefühl oder den Herrschaftsanspruch des Trägers, der Trägerin. Stoffe sind Gegenstand vielfältiger Beschäftigung, Objekte liebevoller Pflege, Proben der Ausdauer, manchmal gelebte Gleichgültigkeit. Stoffe gehören zum unmittelbaren Erfahrungsbereich des Menschen, und sie sind an seinen Körper gebunden. Gerade deshalb ist Skulptur und Malerei mit textilen Materialien auf eine berührende Weise in der Lage, Informationen zu tragen und zu übermitteln. die der Begrifflichkeit nicht unmittelbar zugänglich sind.

Im Werk von Barbara Schimmel spielt die Auseinandersetzung mit dem Tod eine große Rolle. Neben Malerei, Text und Objekt tritt vor allen Dingen das Textile als Ausdrucksmaterial in den Vordergrund. Stoffe sind auf besondere Weise als Träger für die Schilderung körperlicher Bedürfnisse und Zustände geeignet, da sie hautähnlich wie eine Art Membran einerseits unmittelbar die zu umhüllende Gestalt verkörpern, zu ihr gehören und andererseits dort eine Hinzufügung von außen bedeuten. Diese dem Material innewohnende Ambivalenz einerseits Träger von Symbolen andererseits Körperlichkeit zu bedeuten, bleibt bei einer künstlerischen Verwendung präsent und geht in die komplexen inhaltlich-formalen Beziehungsgeflechte des Kunstwerkes ein.

Für das Institut für Pathologie am Städtischen Klinikum Solingen entstand ein Abschiedsraum, der das langsame, allmähliche Sterben der hier vorher betreuten Kranken reflektiert. Die Auseinandersetzung mit dem Tod hat für die Hinterbliebenen schon in den Tagen und Wochen zuvor beginnen können. Die Gelegenheit, sich vom Sterbenden zu verabschieden, war noch vor dem Tod gegeben. Der Tod ist in diesem Raum kein plötzlich eingetretenes Ereignis, sondern er war erwartet worden. Der Tod trifft auf gefasste und vorbereitete Verwandte und Freunde. Auf diese Grundsituation nimmt die Gestaltung des Raumes Bezug. Ähnlich der Gestaltung des Raumes in der Notaufnahme entwickelt sich die Farbigkeit des Raumes in horizontalen Stufen aus dem Grau des Fußbodens zu einem gleißenden Grün im Deckenbereich. Die Hinterbliebenen sehen den Verstorbenen unter einer vom Boden aufsteigenden Stoffbahn liegen, die an der Decke in Wellen über dünne Eisenstangen geführt ein baldachinartiges Dach bildet. Diese Visualisierung des unmittelbaren Bezuges von unten und oben lässt Assoziationen von Übergang, Auferstehung, ja selbst vom gelösten Leichentuch Christ entstehen. Das zunächst Einhüllende, Verhüllende öffnet sich einem uns Unsichtbaren gegenüber, Die Hoffnung auf die Überwindung des Todes steht im Mittelpunkt des christlichen Glaubens und so ist hier im Zeichen des Kreuzes dieser Glaubensinhalt symbolisiert. Diese bildliche Setzung der Einbettung des Todes in den Glauben fußt auf dem hier eingetretenen Abstand zum Todesergnis und spendet unsentimental Trost. Das Kreuz ist aus Rücksichtnahme auf ander Glaubensgemeinschaften nicht fest installiert sondern kann entfernt werden.

Beide Abschiedsräume sind nur Angehörigen des Toten zugänglich. Sie befinden sich bildlich unmittelbar an der Naht zwischen Leben und Tod. Sie sind der Versuch, unmittelbar dieser Grenze mit diesseitigen Mitteln das Jenseitige zu verbildlichen, symbolisch greifen sie über diese unüberwindliche Grenze hinaus.

Öffentlich zugänglich und in unmittelbarem Anschluss an den belebtesten Ort des Klinikums, dem großen Eingangsfoyer, liegt der Raum der Stille. Dieser Tag und Nacht geöffnete Raum soll Kranken und Angehörigen ein Ort der inneren Besinnung, des Nachdenkens, der Fürbitte und auch des Weinens sein können.

Die Ausdruckskraft dieses vielleicht 25 m² großen Raumes wird durch die Verwendung von Stoffen in allumfassenden Grau und in den liturgischen Farben Weiß, Grün, der Farbe der Glaubensstärke, Rot, der Farbe der Märtyrer, und Violett, der Farbe der Trauer und der Erwartung, erreicht, die alle Wandflächen klein gefältelt bedecken. Die Stirnwand grau, mit einer hellen Mittelbahn unmittelbar hinter dem einfachen Altar aus geschwärztem Stahl, violett die Seitenwände, die Decke inklusive der in ruhiger Geometrie angebrachten Leuchtstoffröhren transparent blau bespannt, gold bespannt die Seitenflächen des Lichtschütts oben, violett die Bekleidung der Stühle und der Fußbänke, grün der rückwärtige Wandbehang vor einer Glaswand, in der sich auch die einzige Tür befindet. Dieser Vorhang besteht aus zwei Stoffseiten, so dass die durch das Glas ins Foyer wirksame nichtliturgische Farbe Blau die vorgegebene Farbe der Fensterrahmung aufnehmen kann (vgl. die Zeichnung auf der letzten Umschlagseite). Der von außen sichtbare Teil des Raumes der Stille ist zurückhaltend und unauffällig. Nur wer die in die Fassade oberhalb der Fensterfront geschriebenen Buchstaben "Andacht" liest, könnte in der auch visuell lauten Foyeratmosphäre auf diesen stillen Raum, der so signalisiert, ein anderer Ort zu sein, aufmerksam werden. Einmal aufmerksam geworden, wird der durch die meist halb offen stehende Tür sichtbare Teppichboden mit der signalroten Mittelbahn, die mittig auf den Altar zuläuft, die Neugierde wecken.

Von außen gesehen, mischt sich der Raum der Stille in die Alltäglichkeit ein. Wer ihn betritt wird jedoch unmittelbar vom Alltag des Foyers getrennt, obgleich die Geräusche wie von Ferne noch vernehmbar bleiben. Die akustische Dämpfung blendet äußerliche Ablenkungen weg, die Person nimmt sich selbst unvermittelt und intensiv wahr. Herausgenommen aus dem Tagesablauf, wird der Besucher in Stoff geschützt. Hier wird der Übergang symbolisiert zu etwas anderem, neuem. Trotz klarer und kräftiger Farbigkeit entsteht kein Raum der Pracht. Demütig ordnen sich die Gegenstände dem Sinn unter. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist der Besucher des Andachtsraumes vollständig von Stoff umgeben. Die so ausgeübte unmittelbar spürbare Ansprache an das eigene Befinden, machen den Aufenthalt an diesem Ort zu etwas Besonderem. Altartisch, Kreuz, Ikone und Tabernakel sind fest gefügt und bilden auch für Momente der Verunsicherung und der Schwäche klare Orientierungspunkte, ohne das Maß des im Raum befindlichen Menschen vergessen zu machen.


Hans Knopper 2000

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