Kultur wirkt.
Hans Knopper M.A.
Gisela Happe-Stroex 1988
Ausstellungskatalog Städtisches Museum Gelsenkirchen 1988,
Gisela Happe-Stroex.-
Mit Texten von Dr. R. Lange und Hans Knopper
16 S., 23 x 21 cm
Der Text von Hans Knopper lautet:
Ob Gisela Happe-Stroex ihre Bilder in langen Prozessen erkämpft oder ihre Form schnell findet, ob sie lasierend, pastos oder in knapper Formensprache malt, ob ihre Malgründe weiß, farbig oder bedruckt sind, immer geht es in ihrer Malerei um die menschliche Figur.
Aus runden, schwellenden, weichen Formen erkennt der Betrachter Körper, die sich ihm entgegenzudrängen scheinen. Sie überlagern sich und verdecken weitere Körper, gehen ineinander über und bilden ein lebendiges Ganzes, von dem nur die vorderste Schicht klar sichtbar ist. Pastos aufgetragene Farbe schichtet sich neben und über lasierend gemalten Flächen, blau oder rosafarbene Bereiche gehen fein abgestuft ineinander über. Linien und in die nasse Farbe gesetzte Kratzspuren fassen Flächen zusammen und setzen sie in Bezug. In anderen Bildern von Gisela Happe-Stroex sind die Farben durchscheinend zart aufgetragen. Ihre Transparenz läßt tiefer liegende Farben durchschimmern. Die Körperteile und -haltungen sind schnell und nachdrücklich mit kräftigen Linien direkt mit der Farbtube aufgezeichnet. Da, wo die Malerin bedruckte Srtoffe als Malgründe für ihre Bilder verwendet, sind ihre Figuren stark miteinander verwoben. Das ursprüngliche Stoffmuster scheint durch die Malerei hindurch und bildet wie bei einem Relief dir Schicht, aus der die Körper herausgearbeitet werden.
Die Figuren erscheinen immer auf ähnliche Weise: lebensgroß, nackt und meist ohne individuelle Gesichtszüge. Die Gestalten stehen, hocken und tanzen. Sie fügen sich zu Gruppen zusammen und sind nicht die Abbildung einer konkret erlebten Wirklichkeit. Sie entstehen spontan während des Malaktes als Gegenüber der Künstlerin, sind Schöpfungen eines künstlerischen Prozesses, in dem sich die Figuren sowie die Gemälde als Ganzes von der Künstlerin lösen. Dabei scheinen die verschiedenen Figuren in einem Bild Variationen zu sein, beinahe Wiederholungen aus ein und demselben Körpergefühl heraus.
Der Malakt selbst spielt bei der Bildfindung eine wesentliche Rolle. Die große Bildfläche wird zügig in einem fast eruptiven Verfahren bearbeitet. Die mit Farbe getränkten Pinsel fahren schnell durch die Bildflächen und formen zunächst summarisch die Körper. Ohne den Pinsel abzusetzen, werden große Bereiche der Leinwand in einer durchgehenden Bewegung strukturiert. Die Farbbahnen, Spritzer und Kratzer sind Aufzeichnungen der Körperbewegung der Malerin während des Malens. Die im Bild dargestellten Akte und das gestische Malverfahren entsprechen einander. Die Bilder strahlen die Sinnlichkeit aus, die während des Prozesses ihrer Entstehung auch tatsächlich vorhanden war.
Gisela Happe-Stroex hat ein besonderes Interesse an der Frage, wie sich eine Figur zu ihrem Grund verhält. So hat sie zufällig strukturierte Stoffe, die planlos übereinander mit den verschiedensten Mustern bedruckt sind, bemalt. Teilweise nutzt sie dabei einzelne Elemente des Musters für ihre eigene Malstruktur, in anderen Partien deckt sie sie ab. Ihre Bilder und Figuren entstehen in diesen Fällen aus einem Wettstreit mit dem Grund, auf dem sie entstehen. Sie interpretieren das Vorgefundene bzw. müssen sich gegen es durchsetzen. Sie deutet dabei die zunächst noch abstrakt wirkenden Muster und die eigenen Pinselspuren mit Kreide-, Bleistift- oder Farblinien figurativ. Die gezeigten Figurenkostellationen scheinen dabei nicht für immer festgeschrieben. Sie wirken eher stark beweglich, lebendig und manchmal wie Momentaufnahmen, denn die vorgegegeben hätte durchaus auch anders gedeutet werden können. Auf diese Weise wird der Betrrachter in die Auseinandersetztung mit der Bildstruktur einbezogen.
Eine neue Qualität haftet dem Bildgrund der Gemälde an, die Gisela Happe-Stroex als Paravents konzipiert hat. Bei diesen zweiseitig bemalten und auf Rahmen gespannten Arbeiten entfalten die Farben durch hindurchfallendes Licht wechselnde Leuchtkraft und aufgrund der Transparenz wechselnde Strukturen, je nachdem wie stark die bemalte Rückseite durch das Bild sichtbar wird.
Als Fortsetzung ihrer Auseinandersetzung mit der Transparenz sind ihre jüngsten Arbeiten anzusehen. Sie malt beidseitig auf schmale, körperhohe Acrylglasscheiben, wobei die erste Figur auf der Vorderseite optische den Untergrund für die Figur auf der Rückseite bildet. Die Scheiben werden in Gruppen frei im Raum aufgehängt. Bewegung und Standort des Betrachters werden für das, was er sieht, wichtig. Durch visuelle Überlagerung der Scheiben gehen die Figuren zueinander wechselnde Beziehungen ein. Steht der Betrachter so, daß hinter den Figuren der Scheiben ein traditionell an der Wand hängendes Gemälde sichtbar wird, so scheint es, als habe sich das Bildpersonal in den Raum begeben. Der freie Raum ist somit ihr Bildgrund geworden.Hier gehen sie, obwohl selbst unbeweglich, eine sich ständig verändernde Beziehung zueinander ein. Die Ambivalenz von Ruhe und Bewegung, das Interesxse an unterschiedlichen Zuständen, an Bewegung und dem Festhalten derselben, kann als eine Wiederaufnahme des barocken Themas der Vergänglichkeit angesehen werden.
Hans Knopper