Kultur wirkt.
Hans Knopper: „Die Schrecken und das Unglück des Krieges" ‑ Zu einer Radierfolge von Jacques Callot.-
In: Zeitschrift Romerike Berge - Zeitschrift für das Bergische Land, 48. Jahrgang 1998 - Heft 3, S. 8 -11.-
ISSN: 0485-4306
Text:
Die 1633 erschienene, sogenannte große Kriegsserie (1) von Jacques Callot ist neben dem ,Simplicissimus` des Johann Jacob Christoffel von Grimmelshausen die eindrücklichste künstlerische Quelle, die unsere bildlichen Vorstellungen von den Schrecken des 30jährigen Krieges geprägt hat. Auf 18 Blättern schildert Callot den Verlauf einer anonymen kriegerischen Aktion: Er zeigt die Aushebung der Truppen, sodann eine Reiterschlacht, anschließend auf fünf Blättern die gewalttätigen Ausschweifungen marodierender Soldaten, die auf dem neunten Blatt gefangen und über fünf Blätter hinweg drastisch bestraft werden, dann aber auf zwei Blättern das traurige Schicksal derjenigen Soldaten, die sich nichts Außergewöhnliches haben zuschulden kommen lassen, dann sogar der Rache der malträtierten Bauern anheimfallen bis hin zum Schlußblatt, auf dem der Souverän Belobigungen erteilt. Damit bei der Interpretation der Szenen wenig Spielraum bleibt, sind die Bilder mit erläuternden Versen von Michel de Marolles versehen worden. Veröffentlicht wurde diese Serie schließlich bei Callots Freund und Verleger Israel Henriet in Paris mit königlichem Privileg, d.h. nach Passieren einer Zensur (2)'. Ein Auftraggeber für die Serie ist nicht bekannt.
Es gibt kaum eine Abhandlung über die Geschichte und Aspekte des bis dahin verheerendsten Krieges in Europa, die nicht auch auf die Bildfindungen Callots und speziell die Serie der Kriegsschrecken zurückgreift (3). Dabei wurde von den Interpreten häufig vorausgesetzt, daß die Szenen dieser Radierfolge auf persönliche Erlebnisse des Künstlers zurückgehen, daß sie also Schilderungen von tatsächlichen Ereignissen seien (4). Dieser Einschätzung folgen auch jene Interpreten, die sozial‑ und gesellschaftskritische Tendenzen bei Callot erkennen wollten (5). Überzeugender sind dagegen Interpretationen, die sich mit den persönlichen Voraussetzungen Callots ebenso beschäftigen wie mit den formalen und erzählerischen Aspekten der Radierfolge (6).
Der 1592 in Nancy geborene Jacques Callot war der Sohn des Wappenherolds von Herzog Karl III. von Lothringen. Seine Ausbildungszeit verbrachte er seit 1609 in Rom, bis er 1612 nach Florenz zum Radierer Giulio Parigi wechselte. Von 1621 bis zu seinem Tod 1635 lebte er in Nancy. Callot war der erste schöpferische Künstler, der sich ausschließlich als Graphiker begriff (7). Er hat etwa 1000 Druckplatten vorwiegend kleineren Formates gefertigt. Berühmt war er für seine Fähigkeit, der Radierung die Wirkungsvielfalt einer Zeichnung zu verleihen. Das erreichte er durch mehrfaches Ätzen und durch die Verwendung einer härteren Firnisschicht, in die er mit einem neuen Werkzeug, der „echoppe", wie beim Kupferstich schwellende Linien schneiden konnte. Callots Bildpersonal kann so trotz des kleinen Formates eine enorme Lebendigkeit entwickeln. Bildthemen waren höfische Feste, die Figuren der Commedia dell'Arte, das italienische Landvolk, groteske Figurenschöpfungen, Wappen, Porträts und Kriegsszenen. Callot greift für seine Serie „Die Schrecken des Krieges" auf sein eigenes bzw. tradiertes Bildrepertoire zurück (8). Von den Auswirkungen des Krieges ist Callot als Mitglied des Amtsadels persönlich kaum oder gar nicht betroffen (9). Im Gegenteil, er erwirbt in dieser Zeit erheblichen Landbesitz. Ein Anlaß für Callot, aus persönlichem Erleben ohne Beschönigung eine konkrete Situation des Krieges mit seinen Grausamkeiten zu schildern, ist so nicht belegbar.
Michel de Marolles (1600‑1681), der die Verse zu Callots Radierungen verfaßte, war von König Ludwig XIII. zum Abt von Villeloin/Touraine ernannt worden. Er war Verfasser geistlicher Traktate und Übersetzer antiker Autoren. Er produzierte Gelegenheitsgedichte, Genealogien berühmter Familien und Geschichtswerke (10). Alle Werke Marolles beginnen mit einer Widmung an den französischen König oder an Richelieu. Er ist ein loyaler Untertan der absolutistischen Herrschaftsform gewesen (11).
Die 18 graphischen Blätter mit ihren Texten zeigen folgenden Handlungsverlauf: 1. Titelblatt (12), 2. Die Anwerbung der Truppen, 3. Die Schlacht, 4. Die Plünderung, 5. Die Plünderung auf einem Bauernhof, 6. Die Zerstörung eines Klosters, 7. Zerstörung und Verbrennung eines Dorfes, 8. Der Überfall auf die Kutsche, 9. Die Entdeckung der Übeltäter, 10. Der Wippgalgen, 11. Die Gehängten, 12. Die Erschießung, 13. Der Scheiterhaufen, 14. Das Rad, 15. Das Krankenhaus, 16. Die Sterbenden am Straßenrand, 17. Die Rache der Bauern, 18. Die Verteilung der Belohnung.
Eingerahmt vom Titelblatt (Der Vorhang öffnet sich) und dem Schlußbild gruppieren sich die Bildmotive um drei Themen, denen jeweils 5 Blätter gewidmet sind: Das Schicksal der bestimmungsgemäß ihren Dienst tuenden Soldaten (Blätter 2, 3, 15, 16, 17), die Ausschweifungen der Marodeure (Blätter 4‑8), die Bestrafung der Marodeure (Blätter 10‑14). Das grundsätzliche Fehlverhalten der Marodeure und die folgende Bestrafung werden breit geschildert. Fünf Blättern mit Grausamkeiten nicht näher definierter Soldaten gegen Zivilisten sind fünf Blätter mit nicht minder grausamen Todesstrafen gegenübergestellt. Verbunden sind sie durch das Blatt 9: „Die Entdeckung der Übeltäter".
Unter dem Blatt 13 lautet der Text übersetzt:
„Diese Feinde des Himmels, die tausendfach gegen die heiligen Dekrete und die göttlichen Gesetze verstoßen, suchen bösartig ihren Ruhm darin, zu plündern und die Häuser des wahren Gottes mit frevelnder Hand zu zerstören. Aber zur Strafe dafür, diese in Brand gesteckt zu haben, werden sie selbst den Flammen übergeben. (13) Die Soldaten verstoßen also nicht allgemein gegen die Sitte und die Menschlichkeit, sie verstoßen gegen die geistliche und weltliche Obrigkeit. Die Bildserie bekommt an dieser Stelle den Charakter von Warnbildern. Der Text zu Blatt 14 wird noch deutlicher: „Die göttliche Asträa (= Göttin der Gerechtigkeit), deren Auge stets wacht, vertreibt die Trauer eines Landes gänzlich, wenn sie, Schwert und Waage in den Händen haltend, den unmenschlichen Räuber richtet und bestraft. Er, der die Wanderer überfällt, sie mordet und sich daran ergötzt, der wird dann selbst zum Spielball eines Rades." Die Göttin Asträa ist bei Ovid die Jungfrau des Goldenen Zeitalters (14), bei Vergil Symbol des augusteischen Friedens, der guten Regentschaft. Sie verkörpert im 17. Jahrhundert die gute und gerechte Regentschaft, ein Attribut, welches sich absolutistische Fürsten gerne selbst zuwiesen (15). Diese Sicht erklärt, wieso der Souverän auf dem Schlußblatt gottgleich die Belohnungen verteilt: Er hat nicht nur die Übeltäter bestraft, sondern es liegt auch an ihm, das allgemeine Chaos, das durch die sich rächenden Bauern, die verkrüppelten Soldaten ausgedrückt ist, zu beenden.
Gestützt wird diese Interpretation durch die Art und Weise, in der Callot die einzelnen Szenen schildert. Die Darstellungsmittel sind dem zeitgenössischen Theater entlehnt, die Ereignisse scheinen sozusagen auf einer Bühne stattzufinden (16). Diese formalen Mittel erzeugen einen Abstand zwischen dem Betrachter und den Darstellungen: Das Titelblatt kündigt eine Art Vorstellung an, indem ein Vorhang gezeigt wird, der gleich den Blick auf eine Handlung freigeben wird. Die folgenden Blätter folgen mehr oder weniger einem dreistufigen Aufbau. Vor die eigentliche Szene (17), die im Mittelgrund spielt, wird ein Nahbereich am linken oder rechten Bildrand dargestellt ‑ das entspricht dem Proszenium des Theaters ‑, der Hintergrund ist vom Geschehen in seiner Pauschalität leicht abgesetzt wie eine 4 gemalte Theaterkulisse. Dem zeitgenössischen Drama ist der inhaltliche Aufbau der Radierfolge ebenso verpflichtet: Wie dort das Schicksal des Helden eine plötzliche Wendung, die Peripetie, erfährt, so übernimmt Blatt 9, auf dem die „Entdeckung der Übeltäter" das unkontrollierte Hausen der Marodeure beendet, diese Funktion. Mit der Übernahme dieser zunächst nur äußerlichen Merkmale zieht in die Radierfolge wie in die Malerei und die Druckgraphik der Zeit ein moralisierender und parabelartiger Aspekt ein: Darstellungen dieser Art durften mit einem Publikum rechnen (18), das nach dem symbolischen Sinn fragte. Die intellektuellen Kreise, Salons etc., in denen sich Callot in Paris bewegte und für die er vielleicht diese Serie geschaffen hat, entdeckten für sich auch das Theater (19).
Die Serie von Jacques Callot ist zunächst nur mittelbarer Ausdruck der Erfahrungen mit dem Dreißigjährigen Krieg. Sie zeigt keinerlei Ereignisse und Erschütterungen, die Callot oder Marolles nachweislich selbst erlebt haben, sondern sie zeigt Einsichten von staatstragenden Zeitgenossen des Dreißigjährigen Krieges. Insofern sind die Blätter sehr viel mehr mit den Vorstellungen der Herrschenden als mit denen des einfachen Volkes verbunden. Sie zeigt die Folgen des Krieges durch die Brille desjenigen, der die Geschicke des Staates lenken will und dazu auch das Mittel des Krieges einsetzt. Aus dieser Distanz schildert Callot das Elend und die Grausamkeiten des Dreißigjährigen Krieges. So wird verständlich, wie er in der Lage war, diese Greuel trotz aller perfiden Qualen mit einer gewissen emotionalen Kühle und Distanz in aller Breite und so eindrücklich darzustellen, daß die Radierfolge heute als Synonym für den Dreißigjährigen Krieg gilt.
Anmerkungen
(1) Als „kleine Kriegsserie" wird eine 1635 entstandene, aber unvollendet gebliebene, Radierfolge Callots bezeichnet.
(2) Heide Ries, Jacques Callot: Les Miseres et les Mal heurs de la Guerre, Phil.Diss. Tübingen 1981, S.41.
(3) z.B. Joachim Uhlitzsch, Der Soldat in der bildenden Kunst. 15. bis 20.Jahrhundert, Berlin 1987, S.122f.
(4) Diese Einschätzung zieht sich von Edouard Meaume, Recherches sur la vie et les Ouvrages de Jacques Callot, 2 Bde, Paris 1860, S.63, bis hin zu E.Knab, Jacques Callot und sein Kreis. Katalog der Albertina, Wien 1968, S.13.
(5) z.B. D. Kunzle, The early Comic strip. Narrative Strips and Picture Stories in the European Broadsheet from ca. 1450 to 1825, Berkeley, Los Angeles, London 1973, S.80ff. und F. D. Klingender, Les Miseres et Malheurs de la Guerre, in: Burlington Magazine LXXXI, 1942, S.205f.
(6) Thomas Schröder, Jacques Callot. Das gesamte Werk, 2 Bde.München 1971, 5.1320, und vor allem Ries (Anm.2), S.42‑60.
(7) Ulrich Thieme und Felix Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart 6, S.406ff.
(8) z.B. auf die entsprechenden Szenen in seiner Serie „Belagerung von Breda", 1625.
(9) Ries (Anm.2), 5.13.
(10) Vgl. Allgemeines Gelehrtenlexikon, hg. V. Christian Gottlieb Jöcher, III , Leipzig 1751/Hildesheim 1961, S. 194 sowie Erg. Bd. IV, Bremen 1813/Hildesheim 1961, S.759f. Marolles sammelte über 120.000 graphische Blätter von über 6.000 Künstlern, die nach Ankauf durch Colbert, Minister Ludwig XIV., den Grundstock der Bibliothèque du Roi (nach 1789 Bibliothèque Nationale) bildeten.
(11) Ries (Anm.2), S.37.
(12) Betitelungen nach Schröder (Anm.6), S. 1326 ff.
(13) Übersetzt von Horst Lange und Jürgen Stohlmann.
(14) Metamorphosen I, 149/150.
(15) Vgl. Ries (Anm.2), S.44
(16) Vgl. Ries (Anm.2), S.50ff.
(17) Besonders auf den Blättern 2, 4, 11 und 18.
(18) Vgl. S.J. Gudlaugson, Ikonographische Studien über die holländische Malerei und das Theater des 17.Jahrhunderte, Würzburg 1938. Callot könnte die spezielle Bühnenauffassung der `Rederijker', die Kommentare zum Bühnengeschehen vorsah, in Breda kennengelernt haben.
(19) Ries (Anm. 2), S.38f. und Herbert A. Frenzel, Geschichte des Theaters. Daten und Dokumente 14701840, München 1979, S. 104f.
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