Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Nobuko Sugai, Sonnengesang

Ausstellungskatalog  Künstlerhaus Göttingen: 
Nobuko Sugai, Sonnengesang.- 
Mit Texten von Heinz Thiel, Nobuko Sugai und Hans Knopper.- 
72 S., 28 x 21 cm.-
Ausstellung vom 28.5. bis 30.6.1987
ISBN: 3-922805-21-3

Text von Hans Knopper:

Anmerkungen zu Nobuko Sugais "Acht Erscheinungen"

Acht altarähnliche Wandobjekte geben wie kleine Bühnenbilder den Blick frei in zum großen Teil weiße, flache Räumlichkeiten. Wie Modelle einer anderen Welt verweisen diese Arbeiten auf eine zu imaginierende Wirk­lichkeit.

Fremd und rätselhaft werden diese Räumlichkeiten durch Einfügungen der Künstlerin. Diese Gestaltungselemente gehören drei Bereichen mit unterschiedlichem Realitätsgrad an. Der erste Bereich umfaßt solche Gegenstände, die einen starken Realitätsbezug aufweisen. Es sind Dinge, die aus der menschlichen Alltagswelt stammen und dort schon einmal Verwendung gefunden haben. Für den Betrachter sind sie problemlos zu identifizieren. So geht er zunächst über sie hinweg, bis ihn die entstehenden ungewöhnlichen Bezüge irritieren. Gemeint sind die verwendeten Heiligenbildchen, ein Corpus Christi, Federn, Motoren, kleine Tierschwänze, Stoffe, Todesanzeigen sowie eine kleine Puppe. Diese realistischen Gegenstände werden zumeist reliefierten, weißen und gesichtslosen Frauenkörpern, die der zweiten Realitätsebene angehören, in Bezug gesetzt. Diese weich geschwungenen Körper nehmen unterschiedliche Haltungen ein. Ihre Geschlechtsmerkmale sind zum Teil isoliert gezeigt, wenigstens besonders betont. Diese Hervorhebung wird nicht durch eine besondere Genauigkeit in der Schilderung erreicht, sondern durch die Zurücknahme anderer Merkmale. Den dritten Bereich bilden Fußplatte und Rückwand der Altäre. Für die beiden erstgenannten Realitätssphären geben sie sozusagen die Grundlage ab. Sie sind oft ungegenständlich, mehrfach aber mit weiblichen Sexualsymbolen bemalt. Definierende Umrisslinien sind dabei durch aufgetupfte Farbe beseitigt, so dass das Auge sich in der Malerei auf keine Gegenstände und deren Oberfläche scharfstellen kann. Der Eindruck des Dämmerns, des Schimmerns und des Unauslotbaren herrscht vor. Entsprechend verwendet Nobuko Sugai als Werkstoff zur Erzeugung dieser Immaterialität häufig Blattgold und Schlagmetalle. Die Darstellungen dieses Bereiches sind nur noch wenig realistisch und stehen zur Realität im üblichen Sinne nur in einer diffusen Beziehung.

Es stellt sich die Frage, wie die Elemente aus den unterschiedlichen Bereichen miteinander verknüpft sind. Die weißen Frauenkörper sind dynamisch, sie besitzen eine gespannte Silhouette, sie sind die aktiven Teile, die Akteurinnen. In ihrem Realitätsgrad stehen sie zwischen der zur Unendlichkeit strebenden Malerei und den starren Abbildungen einer alltäglichen, überkommenen und schon ausgebeuteten Welt. Sie erscheinen wie eingespannt zwischen diesen beiden Welten. Das Aussehen der Körper legt eine solche Überlegung nahe. Die konkret geschilderten Sexualattribute verbinden sie noch mit der Alltäglichkeit, aber schon das Weiß ihrer Körper tendiert zum Immateriellen. Es scheint dem Betrachter, als würden sie noch um ihre Zugehörigkeit ringen.

Beim Versuch, die inhaltliche Bedeutung einzelner Elemente zu beschreiben und sie mit anderen zu verknüpfen, stößt man auf das Phänomen, dass sie ihre Eindeutigkeit verlieren. Sie sind nicht schlüssig interpretierbar, da sie nicht in einen logisch aufgebauten Zusammenhang gesetzt sind. Sie sind eher als Metaphern eines Zusammenhanges, den sie nur momenthaft andeuten und symbolisieren, zu verstehen. Beschaut man sich die acht zusammengehörenden Objekte länger, so stellt sich bald ein Gefühl des leichten Schwebens, des Märchenhaften und der phantasti­schen Entrückung ein. Der Intellekt des Betrachters stellt sich auf ein magisch‑assoziatives Denken ein.

Es ist in Erinnerung zu rufen, dass die acht Objekte im jeweiligen Bildtitel als Erscheinung bezeichnet werden. Nobuko Sugai deutet damit an, dass die Darstellungen nicht einer von vornherein planmäßig arbeitenden künstlerischen Phantasie entspringen, sondern Gestaltungen und somit Verarbeitungen tief verinnerlichter, vielleicht mystischer Seelenerlebnisse sind.

Die Arbeiten machen einen scharfen Widerspruch für den Betrachter fruchtbar: sie vereinigen den objektiven Modellcharakter, den sie haben, mit den ihnen zugrundeliegenden extrem subjektivistischen Erfahrungen.

Die acht Altäre schildern die Entstehung eines neuen religiösen Mythos' von der Heiligen Jungfrau. Im Gegensatz zur christlichen Gottesmutter Maria entzieht sich diese Jungfrau der Einbindung in ein altes, männlich organisiertes Welt‑ und Frauenbild. Im letzten Altar hat sie sich von der Rolle als Gottesmutter befreit und ist autonom geworden.


Hans Knopper 1987

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