Kultur wirkt.
Hans Knopper: Erläuterungen zu: Peter Nagel (1).-
In: Ausstellungskatalog Elisabeth-Schneider-Stiftung Freiburg:
Elisabeth-Schneider-Preis '92. Skulptur, Objekt, Installation.-
Ausstellungsdauer: 26.9. - 6.12.1992
Text:
Erklärungen zu: Peter Nagel (1)
Peter Nagels Installation besteht aus einer 800 mal in Wachs gegossenen weiblichen Figur. Alle zusammen sind sie, als folgten sie einem höheren Gesetz, nach dem Prinzip eines Schachbretts mit unregelmäßiger Begrenzung auf dem Boden aufgestellt und in eine Richtung ausgerichtet. Die reproduzierte Figurenmasse bildet eine eigene Schicht und Ebene im Raum, in deren Volumen man nur am Rande Einblick nehmen kann. In der Aufsicht bietet die Gruppe einen hermetisch geschlossenen, monoton stummen Anblick: ein Feld von Quadraten, das ohne erkennbare Gesetzmäßigkeit feine Farbnuancen zeigt. Diese geometrisch glatte, ja fast elegante Seite der Installation kontrastiert stark mit der gebündelten Ausdruckskraft der Figuren, die sich unter dieser Oberfläche bedrohlich und mahnend aufstellen. Jeder separate Abguß könnte isoliert für sich durchaus den Charakter eines Einzelstückes, geformt nach den ungeregelten Formprinzipien einer archaischen Kunst, beanspruchen. In der Einzelbetrachtung stellen sich Fragen nach Darstellung, Funktion, Alter, Herkunft und künstlerischer Ausdruckskraft der Figur. Aber spätestens der Docht, der aus der blockhaften Beschwerung des Kopfes hervorschaut, trivialisiert die Figur zu einem Serienprodukt, dessen Einzelausdruck uninteressant, beinahe wie zufallsbedingt erscheint.
Einige der Figuren brennen. Langsam frißt sich eine kleine Flamme entlang des Dochtes in die Wachsfigur hinein. Und wie ein Hinweis auf die Vergänglichkeit alles Irdischen verändert diese Flamme beide Ansichten der Installation: die schöne Oberfläche und die wie unter ihr begraben wirkenden Figuren werden in eine amorphe Masse verwandelt, die entsprechend der Schwerkraft alles Feste in Fluß bringt und in welcher der Gegensatz zwischen Außen und Innen aufgehoben ist. In leichter Entfernung zum Heer der Wachsfiguren hat Peter Nagel Figuren zu einem Haufen aufgeschichtet. Doppeldeutig wie die stehenden Figuren könnte dieser Haufen einerseits als Reservoir für Nachrücker oder als Sammelplatz für Ausgeschiedene aus der Schicksalsgemeinschaft gedeutet werden.
Peter Nagel liebt es, seinen Arbeiten den Charakter eines Kommentars zu verleihen. So hat er in Solingen eine durch Abbrennen von Wachsgartenzwergen entstandene gelbtonige Fließskulptur durch Hinzufügung eines schauenden Gartenzwerges zu einem ironischen Ausstellungskommentar verändert: der Zwerg (= Ausstellungsbesucher) sieht, was erleuchteten Mitzwergen (= Künstlern) widerfahren kann.
Die Aufstellung der Wachsfiguren in Freiburg folgt im Grundriß der geographischen Gestalt Europas. Und da, wo Flammen an den Figuren züngeln, liegen in etwa die Hauptstädte der verschiedenen Staaten. Somit kommentiert die Installation die ethnozentristischen Tendenzen Europas. Die flammenden Hauptstädte Europas als symbolische Vorwegnahme des notwendigen ethnischen Schmelztiegels?
Hans Knopper 1992
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